Zusammenfassung
Nahrungsmittel-Unverträglichkeit scheint eine wichtige Ursache des
hyperkinetischen Syndroms zu sein. Einschränkende Diäten sind teuer, sozial
zermürbend und oft im Nährwert mangelhaft. Durch mit Enzymen potenzierte
Desensibilisierung (EPD) können einige dieser Schwierigkeiten überwunden
werden. EPD ist während einer doppelblinden, mit Placebo kontrollierten Studie
an 40 Kindern getestet worden. Die Kinder litten unter nahrungsmittelinduzierten,
hyperkinetischen Verhaltensstörungen. Total 185 Kinder mit nachgewiesenem
hyperkinetischem Syndrom haben an der oligoantigenen Diät während 4 Wochen
teilgenommen. Von 116 Kindern, deren Verhaltensweise sich besserte, hat man die
allergieauslösenden Nahrungsmittel identifiziert, indem man sie schrittweise
wieder einführte. Nahrungsmittel, die reproduzierbar Hyperaktivität auslösen,
hat man vermieden. 40 Patienten, die dann zusätzlich am
Hypodesensibilisierungs- Versuch teilnahmen, sind nach dem Zufallsprinzip in
zwei Gruppen eingeteilt worden, nämlich in eine Kontroll- und eine
Behandlungsgruppe. Die behandelten Patienten bekamen 3 Dosen EPD
(beta-Glucuronidase und kleine Mengen von Nahrungsmittel-Antigenen) intrakutan,
in zweimonatlichen Abständen. Die Kontrollgruppe erhielt nur Puffer (=Placebo).
Anschliessend durften die Patienten ihre bekannten Reiznahrungsmittel essen. Von
20 Patienten, welche die aktive Behandlung erhielten, wurden 16 für die
allergieauslösenden Nahrungsmittel tolerant, im Gegensatz zu nur vier von 20,
die Placebos erhalten hatten (p < 0.001). Unsere Resultate zeigen, dass EPD
Kindern ermöglicht, die an einem Nahrungsmittelinduzierten hyperkinetischen
Syndrom leiden, auch Nahrungsmittel wieder zu essen, die vorher Verursacher
ihrer Symptome waren. Diese Resultate bestätigen auch die Annahme, dass
Nahrungsmittelempfindlichkeiten mögliche Auslöser des hyperkinetischen Syndroms
sind.
Lancet 1992, 339, 1150-53
Einleitung
Als mögliche Ursache des hyperkinetischen Syndroms wurde eine Nahrungsmittelunverträglichkeit
angenommen. [1-3] Eine Vermeidung der unverträglichen (allergieauslösenden)
Nahrungsmittel ist das Mittel der Wahl für die Patienten, die an dieser Störung
leiden. Aber einige Patienten reagieren auf Nahrungsmittel, die nicht leicht zu
vermeiden sind, wenn die Ernährung noch ausgewogen sein soll. Andere befolgen
die nötigen restriktiven Diätvorschriften nicht. Beide Studien, unsere
Diätbehandlung [1] und eine Pilotstudie über Enzym-potenzierte
Desensibilisierung (EPD) [4] beruhen auf der Allergiehypothese. Wir berichten
jetzt über einen doppelblind-placebo-kontrollierten EPD-Versuch bei
hyperkinetischen Kindern.
Patienten und Methoden
Probanden
Die Patienten wurden in einer speziellen Klinik betreut, die geeignet ist,
überaktive Kinder abzuklären und mit einer Diät zu behandeln. Die Klinik war
mit einem Paediatrie-Neurologen (J.E.) und einer Diätspezialistin (A.S.)
besetzt. Die überwiesenen Kinder waren nach den dignostischen Kriterien des
DSM-III-R [5] und ICD-9 [6] als hyperaktiv diagnostiziert. Die Kinder litten
seit mehr als einem Jahr an verkürzter Aufmerksamkeitsdauer, Zerstreutheit,
Impulsivität und chaotischer Hyperaktivität. Zusätzlich mussten die Kinder nach
der verkürzten Conners Skala [7] eine Punktzahl von mehr als 15 erreichen. Diese
Skala wurde ausgearbeitet, um das Verhalten zu Hause einstufen zu können. Es
beurteilt zehn Verhaltensweisen: unruhig oder hyperaktiv, erregbar, impulsiv,
stört andere Kinder, vollendet keine Aufgaben, kurze Aufmerksamkeitsdauer,
dauerndes Umherzappeln, unaufmerksam, leicht ablenkbar, Wünsche müssen sofort
erfüllt werden, leichte Frustrierbarkeit, häufiges und fast grundloses Weinen,
schlagartig und schnell wechselnde Laune, heftige Gemütsausbrüche und
explosives, unvoraussehbares Verhalten. Jede dieser Verhaltensweisen wird nach
einer Vier-Punkte-Skala beurteilt: 0: nicht vorhanden, 1: leicht, 2: mässig und
3: schwer. Ein Ergebnis von 14 oder mehr Punkten weist auf ein abnormes
hyperkinetisches Verhalten hin. Der Schweregrad der Hyperaktivität wurde nach
dem Betreuungsaufwand gewertet: schwer (zu Hause oder in der Schule unlenkbar),
mässig (schwer lenkbar, so dass spezielle Hilfe seines Verhaltens wegen nötig
ist) und leicht (lenkbare Hyperaktivität). Eine Verbesserung wurde als
Reduktion des Schweregrades definiert. Während des Versuches erhielten die
Kinder keine psychotropen Medikamente. Andere Medikamente (z.B. Antibiotika)
wurden als farblose Präparate abgegeben. Die Studie wurde in vier Phasen
durchgeführt.
Phase I (oligoantigene Diät)
185 Patienten mit dem hyperkinetischen Syndrom erhielten eine oligonantigene
Diät während vier Wochen [1]. Die Diät bestand aus zwei Fleischsorten (z.B.
Schaf und Huhn), zwei Kohlehydratträgern (z.B. Kartoffeln und Reis), zwei
Fruchtsorten (z.B. Banane und Birne), Gemüse (Kohl, Rosenkohl, Blumenkohl,
Broccoli, Gurken, Sellerie, Möhren (die beiden letzteren nach unseren Erfahrungen aber manchmal
Lebesmittelallergie auslösend, Anmerkung der Uebersetzer) und Wasser. Wegen
des unzulänglichen Nährwertes der Diät wurde sie noch mit Kalzium, Magnesium,
Zink und Vitaminen ergänzt. Patienten, die sich nicht verbesserten, wurde eine
andere oligonantigene Diät angeboten, welche Nahrungsmittel enthielt, die in
der ersten Diät nicht enthalten waren. 116 Patienten, deren Verbesserung für
ihre Eltern und Lehrer überzeugend genug war, dass es sich lohnte, die
Diätschwierigkeiten auf sich zu nehmen, und deren Conners Punktzahl unter 15
fiel, traten in die Wiedereinführungsphase ein. Denjenigen, die nicht
reagierten, wurden Behandlungen mit Psychostimulantien oder Verhaltenstherapien
angeboten.
Phase II (Wiedereinführung von Nahrungsmitteln)
116 mit Diäterfolg (Conners Zahl weniger als 15) kamen in die
Wiedereinführungsphase, während derer die allergieauslösenden Nahrungsmittel
durch allmähliche fortlaufende Wiedereinführung identifiziert wurden. Alle fünf
Tage wurde eine normale Tagesportion eines Nahrungsmittels, das nicht zur
oligoantigenen Diät gehört, eingenommen. Wenn hyperkinetisches Verhalten oder
andere Symptome, die mit der oligoantigenen Diät verschwunden waren, während
wenigstens drei Versuchen auftraten, wurde das Nahrungsmittel später
weggelassen. Wenn nicht, wurde es in die Diät wieder aufgenommen. Waren es wesentliche
Nahrungsmittel, die Symptome auslösten, wurden sie durch andere ersetzt (z.B.
Soja-, Ziegen- oder Schafmilch anstelle von Kuhmilch).
Phase III (doppelblind, placebokontrollierter Versuch mit EPD)
Von den Patienten, die an einem nahrungsmittelbedingten hyperkinetischen
Syndrom litten, wurden die 54, die dank der Diät die eindruckvollste
Veränderung erlebt hatten, eingeladen, an einem Versuch teilzunehmen, der nach
dem Zufallsprinzip doppelblind placebokontrolliert durchgeführt wurde; 40 akzeptierten.
Sie wurden zufällig eingeteilt, entweder Placebos oder aktives Material zu
bekommen. Dreimal in zweimonatlichen Abständen wurde dieses unter die Haut
eingespritzt. Während dieses Zeitabschnittes wurde auf alle allergieauslösenden
Nahrungsmittel verzichtet. Jede aktive intrakutane Injektion enthielt
beta-Glucuronidase, gemischte Antigene und Nahrungszusätze in einem totalen
Volumen von 0.2 ml Pufferflüssigkeit. Diese enthielt: MgSO4 0.06 g/dl;
Natriumazetat 0.4 g/l, NaCl 2.0 g/l, KCl 4.0 g/l, 1 mol/l Lösung CaCl2 0.82
ml/l; der pH-Wert wurde mit HCl auf 5.9 eingestellt.
Die Mollusken-beta-Glucuronidase (Haliotis midae Eingeweide Höcker; Seravac
Ltd, Johannesburg) wurde mit 1,3-Cyclohexadeniol und Protamin wie vorhergehend
beschrieben [8] hergestellt. Jede aktive Injektion enthielt 200 Fishman
Einheiten beta-Glucuronidase, 50 pg 1,3-Cyclohexadeniol und 50 ng
Protaminsulfat. Nahrungsantigene wurden mit Cocas Lösung [9] ausgezogen. Proben
von Nüssen, Käse, Fleisch und Fisch wurden zerkleinert, wenn nötig mit Aceton
entfettet und 10 % des Trockengewichtes des Wochenbedarfes bei 4 Grad C unter
häufigem Mischen ausgezogen. Das Material für den Auszug war nicht getrocknet.
Das Trockengewicht wurde durch das Trocknen einer Probe und durch Umrechnen auf
das entsprechende Gewicht des feuchten Auszugsmaterials bestimmt. Nach dem
Auszug folgten dem Buchner Filtern die Filterstufen durch Membranen. Die
Endsterilisation wurde mit einem Membranfilter mit einem 0.22 Mikrometer
Porendurchmesser (Schüller & Schleicher, Dassel, Deutschland) durchgeführt.
Getreidemehl und Hefeproben wurden mit dem gleichen Auszugsverfahren behandelt.
Ganze ungekochte Eier wurden zu 10 % in Cocas Lösung aufgelöst und unmittelbar
darauf filtriert. Entrahmte Kuhmilch und frisch gepresste Fruchtsäfte wurden
direkt filtriert und mit 0.5 % Phenol stabilisiert. (Für die nachfolgende
Standartisierung wurde die Milch zu 100 % und Fruchtauszüge zu 10 % genommen). Alle
Auszüge wurden bis zum Gebrauch bei 4 Grac C aufbewahrt.
Die Nahrungsmittelauszüge wurden gemischt, durch eine BioGel P6 Säule gelassen,
um Konservierungsmittel und Substanzen mit niedrigem molekularen Gewicht zu
entfernen und in die Pufferlösung eingeführt, die für die Behandlung benutzt
wurde. Die Antigene wurden während der folgenden Auflösung und Aufbewahrung
durch 0.2 mg/ml starke Chondroitin-6-Sulfat Lösung vor Adsorbtion geschützt. Die
aktiven Injektionen enthielten 30 Mikrogramm Chondroitin-6-Sulfat plus der
Auszug aus zwei fg Trockengewicht von jedem Nahrungsmittel (oder entsprechend
wie oben erwähnt) ausser den Nahrungsmitteln mit bekannten Kreuzreaktionen,
[10-11] welche weggelassen oder in reduzierter Menge beigefügt wurden. Gemischte
Antigene enthielten Nahrungsmittelauszüge und Zusätze.
Nahrungsmittelfarbstoffe, die repräsentative Chemikalien enthielten, wurden
ausgewählt, um der Antigenmischung zugefügt zu werden. Die in der Behandlung
vorkommenden Nahrungsmittelzusätze enthielten je eine Dosis von 15000 Molkülen,
die nach ihrem Molekulargewicht berechnet wurden. Die Nahrungsmittel-Antigene
waren: Kuhmilch, Cheddarkäse, Briekäse, Stiltonkäse, Ziegenmilch, Ziegenkäse,
Eier, Kabeljau, Scholle, Hering, Lachs, Makrele, Tintenfisch, Krebse, Muscheln,
Rind- und Schweinefleisch, Speck, Schaf- und Hühnerfleisch, Weissmehl, Ruchmehl,
Vollweizen, Hafer, Reis, Mais, Hefe, Knoblauch, Zwiebel, Kartoffeln, Möhren,
Pilze, Spinat, Bananen, Apfelkerne, Pampelmusen, Haselnüsse, Paranüsse,
Mandeln, Erdnüsse, Kokosnüsse, Walnüsse, Schokolade, grüner Kaffee. Die
beigefügten Farbstoffe waren Tartrazin, Schokoladebraun, Ponceau 3R,
Erythrosin, grün S, Annatto (Bixin). Die Nahrungsmittelzusätze waren:
butylisiertes Hydroxytoluen (BHT), Methyl Parahydroxybenzoat, Benzoesäure,
Phenol. Für die Placebos wurde nur die Pufferlösung allein injiziert. Die Patienten
wurden zufällig nach einer Zufallszahlentabelle ausgewählt. Der einzige
Schlüssel wurde von L. McE. aufbewahrt, der die ensprechenden individuellen
Dosen in aufeinanderfolgend nummerierte Reagrenzgäser einfüllte, die durch
einen Boten zu den Patienten gebracht wurden. L. McE. war nicht bei ihrer
Behandlung und Beurteilung beteiligt.
Placebo und aktive Substanz waren beides farblose Lösungen. Die intrakutane
Injektion der aktiven Lösung und des Placebos verursachten kleinfächige
vorübergehende Erythema, die nicht unterscheidbar waren. Die Injektionsstellen
wurden sofort mit Heftpflaster abgedeckt.
Phase IV (Wiedereinführung der allergieauslösenden Nahrungsmittel)
Drei Wochen nach der dritten Injektion wurden die Nahrungsmittel, die in Phase
II Symptome hervorgerufen hatten, eines nach dem andern wieder eingeführt. Die
Eltern führten ein Tagebuch über Hyperaktivität oder andere Symptome. Sie
wurden angewiesen, wenn nahrungsmittelbezogene Symptome auftraten und über 24
Stunden andauerten, das Nahrungsmittel abzusetzten. In der aktiven und der
Placebogruppe wurde das Absetzen des ersten Nahrungsmittels als Resultat
analysiert. Als alle Nahrungsmittel wieder eingeführt waren, wurden die Eltern
weiter gefragt, ob die Behandlung wirksam gewesen sei, um die Symptome, die
beim Essen von einem oder mehreren der allergieauslösenden Nahrungsmittel
auftraten, zu vermeiden oder zu reduzieren; auch diese Resultate wurden
analysiert. Im allgemeinen wurden die Nahrungsmittel nach dem Rang ihrer
Wichtigkeit für die Ernährung wieder eingeführt.
Die Haut-Pricktests auf fünf verschiedene Antigene wurden durchgeführt, um
atopische Kinder zu identifizieren (Dermatophagoiden, Gräserpollen,
Katzenhaare, Milch und Eier). Das Serum-IgE wurde ebenfalls gemessen. Die
Versuchsanordnung wurde vom ethischen Kommitee der Universität München
gutgeheissen und die Einwilligung der Eltern erhalten, nachdem sie über die
Studie unterrichtet worden waren. Die statistischen Analysen wurden nach dem
Fischer-Test durchgeführt.
Resultate
Der klinische Zustand der beiden Zufallsgruppen wich nicht signifikant
voneinander ab, ausser, dass spezifische Entwicklungsverlangsamungen und
soziale Isolation in der behandelten Gruppe häufiger waren (Tabelle I).
|
TABELLE I - EIGENSCHAFTEN DER PROBANDEN MIT HYPERKINETISCHEM SYNDROM (HS)
________________________________________________________________________
| Total | Behandelt | Placebo |
______________________________|_____________|_____________|____________|
| | | |
Geschlecht (M/W) | 36/4 | 18/2 | 18/2 |
Alter (Jr) (Mittelw./Bereich) | 9.3(3-15) | 9.2(3-15) | 9.3(4-13) |
Dauer des HS (Mitt.w./Bereich)| 6.8(2-13) | 6.5(2-11) | 7.1(2-13) |
HS Typ | | | |
Nur Hyperaktivität | 2 | 2 | |
+ unruhiges Verhalten | 12 | 6 | 6 |
+ emotionale Probleme | 8 | 3 | 5 |
+ unruhiges Verhalten | | | |
+ Emotionen | 18 | 9 | 9 |
Schwere des HS | | | |
Schwer | 17 | 9 | 8 |
Mässig | 23 | 11 | 12 |
Mitt. Conners* Zahl vor Diät | 23 | 23 | 23 |
Mitt. Conners Zahl währ. Diät | 7.5 | 7.5 | 7.6 |
Entwicklungsverzögerung | 10 | 8 | 2 |
Unbeholfenheit | 13 | 7 | 6 |
Gesellschaftliche Isolation | 24 | 15 | 9 |
Schwierigkeiten in der Schule | 14 | 8 | 6 |
Schlafstörungen | 25 | 13 | 12 |
Uebermässige Müdigkeit | 8 | 5 | 3 |
Vorhergehende Therapien | | | |
Diät | 18 | 9 | 9 |
Psychotherapie | 12 | 7 | 5 |
Methylphenidat | 6 | 5 | 1 |
Ungünstige Psych.soz. Fakt.+ | | | |
1 | 17 | 10 | 7 |
2 | 4 | 3 | 1 |
3 | 2 | 1 | 1 |
Wiederkehrende Kopfschmerzen | 18* | 10* | 8 |
Wiederkehrende Bauchschmerzen | 30 | 16 | 14 |
Bettnässen | 10 | 6 | 4 |
Gelenkschmerzen | 13 | 7 | 6 |
Chronischer Schnupfen | 15 | 8 | 7 |
Asthma | 4 | 3 | 1 |
Hautbeschwerden | 15 | | |
Jucken | 6 | 5 | 1 |
Ausschläge | 6 | 2 | 4 |
Ekzeme | 3 | 2 | 1 |
Heuschnupfen | 3 | 1 | 2 |
Fieber ohne Infektion | 4 | 2 | 2 |
Keine zugeordnete Symptome | 4 | 2 | 2 |
Allergiebereitschaft | 17 | 7 | 10 |
______________________________|_____________|_____________|____________|
*Bei 5 Kindern (jeweils 2 und 3) wurden während der Wiedereinführungs-
periode wiederkehrende Kopfschmerzen zum ersten Mal gemeldet, als die
allergieauslösenden Nahrungsmittel nach fünf Tagen täglich eingenommen
wurden.
+Seelische Störungen anderer Familienmitglieder (7), gestörte
zwischenfamiliäre Beziehungen (5), familiäre Verstrickungen (12),
ungenügende elterliche Betreuung (1), anormale Familienkonstellation
(3), Schulstress oder -Störungen.
Alle
ausser Vieren hatten zusätzliche (Körper-) Symptome (z.B wiederkehrende
Kopfschmerzen, wiederkehrende Bauchschmerzen) zur Hyperaktivität.
TABELLE II - AUSWIRKUNG DER DIAET
_______________________________________________________________________
| Vor der Diät | Während der Diät* |
_____________________________|____________________|___________________|
| | |
Hyperkinetisch | 40 | 0 |
Mittlere Conners Zahl | 23 | 7.5 |
Kopfschmerzen | 18 | 0 |
Bauchschmerzen | 30 | 0 |
_____________________________|____________________|___________________|
*Erholung während der Diät war eine Voraussetzung für die Zulassung zum
Versuch.
Voraussetzung
für eine Versuchsteilnahme war die Erholung vom hyperkinetischen Syndrom und
von anderen nahrungsmittelbedingten Symptomen unter Diät (Tabelle II) und
reproduzierbare Rückfälle, wenn gewisse Nahrungsmittel gegessen wurden. Die
Nahrungsmittel, die eine Reaktion verursachten, sind in Tabelle III aufgeführt.
TABELLE III - ALLERGIEAUSLÖSENDE NAHRUNGSMITTEL VORHER UND NACHHER
____________________________________________________________
| Aktive Behandlung| Placebo |
Nahrungsmittel |__________________|__________________|
| Vorher | Nachher | Vorher | Nachher |
_____________________|________|_________|________|_________|
| | | | |
Schokolade | 11 | 3+ | 17 | 15 |
Farbstoffe | 12 | 3* | 12 | 10 |
Kuhmilch | 12 | 2+ | 9 | 7 |
Eier | 8 | 1 | 7 | 6 |
Zitrusfrüchte | 7 | 2+ | 8 | 6* |
Weizen | 8 | 0 | 6 | 5* |
Rübenzucker | 8 | 2* | 6 | 5 |
Nüsse | 7 | 1* | 6 | 4 |
Käse | 5 | 1* | 6 | 4 |
Schweinefleisch | 3 | 1 | 3 | 2 |
Hafer | 3 | 0 | 3 | 2 |
Bananen | 4 | 2* | 2 | 2 |
Tomaten | 2 | 1 | 3 | 1 |
Aepfel | 2 | 0 | 2 | 2* |
Birnen | 2 | 0 | 2 | 2* |
Mais | 2 | 1 | 2 | 2 |
Rindfleisch | - | - | 2 | 2 |
Fisch | 1 | 1* | 1 | 1 |
Aprikosen | - | - | 2 | 2* |
Bohnen | 2 | 0 | - | - |
_____________________|________|_________|________|_________|
* 1 Patient hatte schwächere Symptome als bei der vorange- henden Allergieauslösung.
+ 2 Patienten hatten schwächere Symptome als bei der voran-
gehenden Allergieauslösung.
Das erste Nahrungsmittel, das jedem Kind nach der dritten Injektion mit dem
kodierten Material zu essen gegeben wurde, wurde in der Placebo-Gruppe
signifikant häufiger gestoppt als in der behandelten Gruppe. Von 40 Patienten
war einer unentschieden und drei hatten die Studie abgebrochen. 14 hatten einen
Rückfall und das allergieauslösende Nahrungsmittel wurde nicht mehr gegeben,
aber 22 konnten die vorher als allergieauslösend identifizierten Nahrungsmittel
ohne wesentliche Schwierigkeiten weiteressen. Von diesen bekamen 15 EPD, aber
nur sieben Placebos (Tabelle IV).
TABELLE IV - RESULTATE DES DOPPELBLIND, PLACEBOKONTROLLIERTEN EPDVERSUCHES
______________________________________________________________
| Analyse nach | Analyse am Ende des |
| Wiedereinführung | Versuches |
| des ersten | (durch die Eltern |
| Nahrungsmittels* | beurteilt)+ |
|_____________________|_____________________|
|Aktive | | |Aktive | | |
|Behand-|Placebo|Total|Behand-|Placebo|Total|
| lung | | | lung | | |
_________________|_______|_______|_____|_______|_______|_____|
| | | | | | |
Unentschlossen | 1 | 0 | 1 | 2 | 1 | 3 |
Verliessen die | | | | | | |
Studie | 2 | 1 | 3 | 2 | 1 | 3 |
Erfolglos | 2 | 12 | 14 | 0 | 14 | 14 |
Erfolgreich | 15 | 7 | 22 | 16 | 4 | 20 |
_________________|_______|_______|_____|_______|_______|_____|
| | | | | | |
Total | 20 | 20 | 40 | 20 | 20 | 40 |
_________________|_______|_______|_____|_______|_______|_____|
* p < 0.01 Fishertest; SE[diff]=0.11355; 95% CI 0.2480-0.7794
+ p < 0.001 Fishertest; SE[diff]=0.09799; 95% CI 0.5857-0.9699
Am Ende der Studie äusserten signifikant mehr Eltern der aktiv behandelten
Kinder, dass die Behandlung erfolgreich gewesen sei. Diese Resultate hingen vom
Wiederauftreten jeglicher Symptome ab, die auf die Diät angesprochen hatten
(Bauchschmerzen, Blähungen oder Durchfall erschienen gewöhnlich zuerst). Wir
beobachteten keine Nebeneffekte der Behandlung, ausser die Unannehmlichkeiten
der intrakutanen Injektion.
Nach dem Versuch fuhren die Patienten, die auf die aktive Behandlung positiv
reagiert hatten, fort, Nahrungsmittel, die jetzt keine Symptome mehr
verursachten, zu essen, bis bei allen ausser dreien die Symptome nach einigen
Monaten wiederkehrten. Bei 13 Patienten mit Rückfällen nach zwei bis sechs
Monaten wurde während erneuter Diät eine Einzeldosis EPD verabreicht, was ihre
Symptome zu erleichtern schien, was aber nicht durch eine Placebokontrolle
direkt untersucht wurde. Während den folgenden zwei bis vier Jahren schienen
sich die Intervalle zwischen solchen Rückfällen zu verlängern, obschon sie sich
nach Virusinfektionen jeweils verkürzten. Am Ende des Versuchs wurde auch der
Placebogruppe die aktive Behandlung angeboten; nach der dritten Injektion von
EPD reagierten 15 der 16, die das Angebot angenommen hatten, erfolgreich bei
der Einführung der früher allergieauslösenden Nahrungsmittel.
Der Anteil der Kinder (42.5 %), mit einem positiven Haut-Prick-Test auf eines
oder mehrere der fünf Antigene, die benützt werden zur Identifikation atopischer
Kinder (Dermatophagoiden, Gräserpollen, Katzenhaare, Milch und Eier), war
ähnlich dem der Gesamtbevölkerung. Von den 16 Kindern, die eine aktive
Behandlung erhielten und positiv darauf reagierten, waren sieben atopisch. Der
Gesamt-IgE-Anteil war bei 19 Patienten erhöht; acht davon erhielten eine aktive
Behandlung, 11 Placebo. Die Eltern dieser acht bewerteten die Behandlung als
erfolgreich.
Diskussion
Die Rolle der Nahrungsmittel-Intoleranz beim hyperkinetischen Syndrom ist mit
mehreren Versuchen nachgewiesen worden. [1-3]
Verschiedenen Mechanismen wurden als mögliche Auslöser für solche Reaktionen
auf Nahrungsmittel vermutet. [12-13] Der Entwurf der Diätbehandlung sowie die
Reaktionsmuster lassen vermuten, dass ein Allergiemechanismus daran beteiligt
ist [1]. Wegen der Schwierigkeiten einer kontinuierlichen diätischen Behandlung
ist die Möglichkeit einer Vorbeugung der unliebsamen Reaktion auf
allergieauslösende Nahrungsmittel attraktiv und bei allergischen Symptomen
theoretisch möglich, nicht aber bei anderen Formen von
Nahrungsmittelintoleranz.
Eine Hyposensibilisierung für Atmungsallergien wurde durch viele Versuche
nachgewiesen, [14-16] obschon der Mechanismus unbekannt ist. Die Risiken einer
Hyposensibilisierung mit hohen Antigendosen haben zur Entwicklung von
verketteten Präparaten, die eine niedrigere Dosierung erfordern, geführt, eine
davon ist EPD [17]. Die Anwendung solcher Techniken auf
Nahrungsmittel-Allergien ist nur beschränkt möglich, aber unsere Beobachtung
eines offensichtlichen Vorteils für nahrungsmittel-induzierte Hyperaktivität
liess uns diesen Versuch entwerfen. Unsere Resultate liefern einen
beweisstarken Vorteil und zeigen, dass die EPD eine wirksame Methode ist,
Kindern mit nahrungsmittel-induziertem hyperkinetischem Syndrom Nahrungsmittel
wieder zu erlauben, die vorher erwiesenermassen für ihre Symptome
verantwortlich waren.
Es ist keine epidemologische Studie gemacht worden, um den Prozentsatz der
hyperkinetischen Kinder nachzuweisen, die auf Nahrungsmittel reagieren. EPD ist
nur für diese Patienten anwendbar, deren Hyperaktivität auf diätische
Behandlung reagiert. Es ist deshalb wichtig, dass Kindern nur dann EPD gegeben
werden sollte, wenn eine Nahrungsmittel-Intoleranz mit bewährten Methoden
festgestellt ist. Zudem sollte die Desensibilisierung für Patienten mit
schweren Symptomen vorbehalten werden, bei denen gezeigt werden kann, dass sie
auf mehrere oder wichtige Nahrungsmittel reagieren.
In unserer Studie hat EPD keine schwerwiegende Nebenwirkungen gezeigt. Während
jeder Behandlung wurden allergieauslösende Nahrungsmittel vermieden und die
Einhaltung der Regeln wurde strikte überwacht. Die Notwendigkeit, die Diät
während des EPD zu verschärfen, wurde in Pilotstudien vorgeschlagen, weil
einige Stunden nach der Injektion das Auftreten von Urticaria (Nesselsucht) und
anderer Symptome an Patienten beobachtet worden war, die sich während der
Behandlung nicht an die Diät gehalten hatten. Die Dosierung der Antigene, die
mit EPD verabreicht wurden, sind im Bereich einer niedrigen Toleranzschwelle
[18] und beta- Glucuronidase scheint diesen Effekt zu verstärken. Die Verdauung
von normalen Mengen von Nahrungsmitteln hat zur Folge, dass wesentliche Mengen
von unverdauten Nahrungsmittelproteinen adsorbiert werden [19], so dass die
Einnahme von störenden Nahrungsmitteln während der Injektionszeit sich mit der
entsprechenden Dosierung mischen und stören kann.
Der Mechanismus, durch welchen die EPD eine Toleranz bei allergieauslösenden
Nahrungsmitteln erzeugt, ist nicht geklärt, aber, weil die gleiche Methode mit
einzuatmenden Antigenen bei der Behandlung von Heuschnupfen wirksam ist [20],
scheint ebenso eine immunologische Reaktion möglicherweise beteiligt. Nichtdestotrotz,
anders als bei konventionellen Desensibilisierungs-Injektionen, die
blockierende Antikörper- Titer hervorheben [15,21], rufen EPD zusammen mit zu
inhalierenden Allergenen keine blockierenden Antikörper bei erfolgreich
behandelten Heuschnupfen-Patienten hervor (Dr. M.S. Starr, private Mitteilung).
Ferner wird eine durch Antigene hervorgerufene Leucozyten-Migrationshemmung
[22] durch eine erfolgreiche EPD-Desensibilation umgekehrt (Dr J. Brostoff.
private Mitteilung), was eine Reduktion der zellulären Reaktion auf das Antigen
andeutet als einer Art der Immunisation entgegengesetzt.
Eine Sensibilisierung auf neue Nahrungsmittel kann bei mit Diät behandelten
hyperkinetischen Kindern vorkommen, entweder während einer viralen Infektion
oder als das Resultat eines im Uebermass eingenommenen, früher
"sicheren" Nahrungsmittels. Es ist möglich, eine solche neue
Sensibilisierung zu verhüten, indem man alle bekannten allergieauslösenden
Nahrungsmittel in die Antigenmixtur des zu injizierenden Materials
einschliesst. So haben wir vorzugsweise die gleiche umfassende antigene Lösung
gebraucht für alle Kinder in der aktiv behandelten Gruppe, obschon die
allergieauslösenden Nahrungsmittel in der Phase II unseres Versuches
identifiziert wurden und eine Hyposensibilisierung auch nur mit diesen
Nahrungsmitteln möglich gewesen wäre. Die Wahl der Nahrungsmittel-Antigene, der
Antigenmixturen sowie die Extraktionsmethode stimmten mit den Protokollen
überein, die vom Wright Fleming Institut (London) 1908-79 festgesetzt worden
waren. Einige Nahrungsmittel, die in der Antigenmixtur vorhanden sind, haben
gemeinsame Antigene [10,11]. Diese wurden mit einer reduzierten Dosierung
verwendet. Andere wurden aus den gleichen Gründen weggelassen. Frühere Arbeiten
weisen darauf hin, dass EPD bei Tieren (Starr und Mitarbeiter, private
Mitteilung) und bei Menschen antigenspezifisch ist. Im Gegensatz dazu haben in
diesem Versuch Kinder, die vorher auf Zucker reagierten (nicht in der
Antigenmixtur enthalten) nach einer aktiven Behandlung damit aufgehört. Diese
Beobachtung war nicht signifikant und mag eine nicht spezifische Wirkung gehabt
haben. Einige Bestandteile der Antigenmischung mögen nicht gebraucht worden
sein, um eine Hyposensibilisierung zu erreichen (z.B. verschiedene Käsesorten).
Restriktive Diäten sind sozial zerrüttend, teuer, und wegen der
Ernährungsunausgewogenheit mögen sie gefährlich sein, wenn sie nicht richtig
überwacht werden. Die EPD bietet die Möglichkeit an, alle diese Schwierigkeiten
zu vermeiden.
Dieses Projekt wurde teilweise durch das Bundesministerium für Gesundheit, Forschungsvorhaben
428-7620-090 unterstützt. Deutsche Uebersetzung durch Monica Hartmann, Sonja
Hutter, Erich
, Susanna Stoll und Eveline Breidenstein.
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Von einem der Autoren (J. Egger) wurde die ursprüngliche Studie Das
hyperkinetische Syndrom.
Zusammenfassung über
das hyperkinetische Syndrom und seine Behandlungsmöglichkeiten verfasst
31. März 2001