1        Mechanismus der Zusammenhänge Nahrung und Gehirnfunktion / Verhalten

Die Nahrung "betritt" unseren Körper über den Darm und dort werden bereits erste Informationen über Menge, Zusammensetzung und Verträglichkeit der Nahrung erfasst und dem übrigen Körper weitergeleitet; dies geschieht via Immun-, Hormon- und Nervensystem, und zwar auch in die oberste "Schaltzentrale" des Körpers, das Gehirn.

Andererseits braucht das Gehirn zur Erfüllung seiner geistigen Funktion Nährstoffe und biochemische Ausgangsprodukte in geeigneter Menge und Zusammensetzung.

In diesem Sinne ist es gut verständlich, dass Nahrungsaufnahme, Stoffwechsel und Gehirntätigkeit nicht als unabhängige Systeme verstanden werden können, sondern sich dauernd gegenseitig beeinflussen; bekannte Bespiele dafür sind die Schläfrigkeit nach einer Hauptmahlzeit und das flaue Gefühl im Bauch / Durchfall bei emotionalem "Stress" wie Prüfungen oder Verliebtheit. Bei empfindlichen Individuen (mit weniger Kompensationsmöglichkeiten des Stoffwechsels) wirkt sich die Beeinflussung des Gehirns nicht nur in Ausnahmesituationen, sondern praktisch dauernd aus.

Zur Illustration des Genannten, folgt hier ein Exkurs in die anatomische und physiologische Welt des Verdauungstraktes.

 

1.1      Anatomisch-physiologische Hintergründe des Zusammenhangs Nahrung - Gehirnfunktion

1.1.1   Darm – Nervensystem

Das Nervensystem des Magen-Darmtrakts besteht aus dem intrinsischen Teil, anatomisch lokalisierbar in den Plexus myentericus und Plexus submucosus in der Wand der Hohlorgane, und dem extrinsischen Teil, d.h. dem autonomen Nervensystem. Insgesamt sind das über 100 Millionen Nervenzellen, was etwa der Menge Neuronen des Rückenmarks entspricht. Berechtigterweise kann man von einem "Bauchgehirn" sprechen, das dank seinen zahlreichen "zuführenden" (=afferenten) Verbindungen zum Zentralnervensystem durchaus mit dem "Kopfgehirn" zu kommunizieren und nicht nur zu "auszuführen" vermag.

 

Die Regulation der komplizierten Verdauungsvorgänge (mit geordneter Bewegung bzw. Peristaltik, dosierter Freisetzung von Verdauungsenzymen und dem Abtransport der aufgenommenen Nährstoffe) erfolgt durch die Freisetzung von "Nerven-Botenstoffen" (=Neurotransmittern) oder von "Gewebshormonen" (=Zytokinen) direkt an Nerven-Synapsen, ins umliegende Geweben (=parakrin) oder in die Blutbahn als Hormone. Häufig setzen einzelne Nervenzellen mehrere verschiedene Substanzen frei: Primäre Transmitter, die in funktionell gleichen Neuronen im ganzen Magendarmtrakt relativ konstant vorkommen, und subsidiäre, die je nach Lokalisation wechseln[1].

Interessanterweise sind diese Transmittersubstanzen häufig die gleichen chemischen Stoffe, die als Neurotransmitter im Gehirn bekannt sind.

 

Tabelle: Beispiele gemeinsamer Botenstoffe (=Transmittersubstanzen) in Gehirn und Magendarmtrakt[2].

____________________________________________________________________________________________

 

 

Gehirn

Darm

gemeinsame NT

 

 

____________________________________________________________________________________________

 

Noradrenalin

*

extrinsische Inhibition der Intestinal-Motilität

(ev. durch Inhibition der Ach-Freisetzung)

Acetylcholin

*

primär exzitatorisch für Muskeln, an intestinalem Epithel, Parietalzellen, einigen endokrinen Zellen, neuroneuronalen Synapsen

Glutamat, Aspartat

Stimulation

Stimulation glatter Muskulatur[3]

GABA

Inhibition

Inhibition der Kontraktion,

Stimulation glatter Muskeln

Serotonin

*

Peristaltik

Histamin

Stammhirn

Sekretion, Magensäureproduktion

Dopamin

*

*

Somatostatin

Hypothalamus

Hemmung gastrointest. Hormone; Motilitätshemmung

Opioide Peptide (Enkephalin, Dynorphin, Endorphin)

Glücksgefühl, Schmerzhemmung

Hemmung der Kontraktion der glatten Muskulatur

Sekretion durch Dynorphin

____________________________________________________________________________________________

 

Diese Übereinstimmung erklärt die Nebenwirkungen von Psychopharmaka im Magendarmtrakt (Durchfall, Übelkeit etc.) und auch die Beeinflussbarkeit beider Nervensysteme durch Neurotransmitter-ähnliche Substanzen aus der Nahrung (z.B. Exorphine; vgl. unten).

 

Somit besteht neben der Verbindung via Nervenzellen auch eine "hormonelle" Möglichkeit der wechselseitigen direkten Beeinflussung von Gehirn und Magendarmtrakt. Glücklicherweise wird normalerweise die aus dem Verdauungstrakt ins Gehirn gelangende Information der normalen Darmtätigkeit nicht bewusst wahrgenommen (im Gegensatz zum Colon irritabile-Kranken, der jedes Bauchkollern als unangenehm bis schmerzhaft empfindet), jedoch wird durch diese unbewusste dauernde Informationszufuhr die Erzeugung von Stimmungen und damit die Ermöglichung von "Bauchentscheiden" diskutiert.

1.1.2   Immunsystem des Darmes und Zusammenhang zum Zentralnervensystem

Aufgrund der grossen Oberfläche (ca. 200 m2)des Darmes zur "Aussenwelt" (in diesem Fall der Darminnenraum) nimmt die Immunabwehr auch anatomisch einen sehr grossen Raum ein: ca. 25% der Schleimhaut besteht aus Immunzellen, was insgesamt etwa der Menge der Milz entspricht, einem 4x7x11cm grossen Organ.

 

Grundsätzlich besteht zwischen Immun- und Zentralnervensystem ein intensiver Kontakt; mit entsprechender gegenseitiger Beeinflussbarkeit. Beispielsweise gelingt es bei Ratten in Konditionierungsversuchen (intracerebro-ventrikuläre Antigengabe plus neutrale Stimuli) erfolgreich, durch die neutralen Stimuli alleine eine allergische Antwort auszulösen[4]  - oder Menschen können unter Suggestion in Hypnose unterschiedlich stark sensibilisiert werden.[5].

 

Auf anatomisch-physiologischer Ebene ist die Interaktionsmöglichkeit ersichtlich durch direkte Nerven-Verbindungen vom Zentralnervensystem zu Zellen und Geweben des Immunsystems bzw. durch Verteilung der Transmitter- und Hormonrezeptoren im Immungewebe, die auf direkte Übertragung an Synapsen bzw. als Gewebshormone (=parakrin) oder auf endokrine Effekte schliessen lassen.

Physiologisch nachweisbare Effekte der gegenseitigen Beeinflussung sind der immunsupprimierende Einfluss des Noradrenalins (und wahrscheinlich auch der Serotonin-Ausschüttung aus Thrombozyten), welche die Anzahl Immunzellen und die Antikörper-Produktion reduziert, sowie die endokrinen und Noradrenalin-Veränderungen im Zentralnervensystem durch Aktivierung des Immunsystems[6].

 

Tabelle Anatomische Hinweise auf eine Verbindung Immun- und Zentralnervensystem

 

Zentrifugal (= vom Gehirn weg)

___________________________________________________________________________

 

- nerval

- Cholinerge (parasymp.) Nervenfasern[7]

 

- Noradrenalin (NA)-haltige (symp.) Nervenfasern[8]

   - Thymus, Knochenmark

   - Milz, Lymphknoten, GALT

 

- Freisetzung von anderen Monoaminen[9] (z.B. Adrenalin

      und Serotonin) aus symp. Gefäss-Nervenfasern[10]

...- Freisetzung von Serotonin aus noradrenerg

         aktivierten Thrombozyten[11]

- parakriner Effekt

 -NA

 -Adrenalin

 -Isoprotenerol

 -Dopamin

 -Serotonin

....

- Monoamin-Rez. auf Lymphozyten, Makrophagen[12],

      Granulozyten, Knochenmarks-Stammzellen[13],

      Mastzellen

- Modulation ws. va. via T-Lymphozyten

    NA (ws. auch Serotonin-Ausschüttung aus

       Thrombozyten)  reduziert Anzahl Immunzellen

       und Antikörper-Prod.

- endokrin

 

 -Cortisol

 -VIP (vasoactive intestinal peptide)

- Neurotensin...

- Hormonrezeptoren auf Immunzellen für

    Cortisol

    VIP

___________________________________________________________________________

Zentripetal (zum Gehirn hin)

 

 

Feedback zum Hypothalamus durch aktiviertes Immunsystem[14] via

...autonomes Nervensystem

   endokrin

   aktivierte Thrombozyten[15] mit Histamin-

           Freisetzung im Gehirn

- zentrale NA- und endokrine Veränderungen

_________________________________________________________________________________

 


 

1.1.3   Zusammenfassung der Interaktion Verdauungstrakt - Gehirn

Somit ist das Gehirn sowohl über die Verdauungstätigkeit als auch über ablaufende Abwehrprozesse informiert bzw. durch sie beeinflusst, so dass bei empfindlichen Menschen eine negative Beeinflussung des Zentralnervensystem durch eine Störung des Neurotransmitter-Gleichgewichts durch abnorme Verdauungsvorgänge bzw. pathologische immunologische Prozesse im Magendarmtrakt denkbar ist.

 

1.2      Hypothesen der Beeinflussung der Gehirnfunktion durch die Nahrung

Der Mechanismus der Beeinflussung der Gehirnfunktion durch Nahrungsmittel ist denkbar

- im Sinne einer "allergischen" Reaktion des Gehirns auf das zugeführte Nahrungsmittel,

- als abnorme Empfindlichkeit auf Neurotransmitter-ähnliche Nahrungsmittelbestandteile, wie z.B. Exorphine

- als chronische Störung der Hirnstoffwechsels durch eine Unterversorgung mit bestimmten Vitaminen und Mineralstoffen

- durch akute Schwankungen der Nährstoffversorgung bzw. des biochemischen Milieus im Gehirn (z.B. Blutzuckerschwankungen)

Die verschiedenen Möglichkeiten werden nun einzeln erläutert:

1.2.1   Verhaltensauffälligkeit = "Hirnallergie" bzw. Unverträglichkeitsreaktion des Gehirns

Unter diesem Aspekt müsste eine Verhaltensstörung als "allergische Reaktion" des Gehirns verstanden werden, da das Gehirn keine andere Möglichkeit (z.B. Schmerzen, sichtbare Schwellung) hat, auf unverträgliche Stoffe zu reagieren, zeigen sich Funktionsstörungen auf der Verhaltensebene.

Da der Begriff "Allergie" in den letzten Jahren etwas inflationär gebraucht wurde, soll zuerst einmal die medizinische Definition folgen.

1.2.1.1 Begriffsdefinition der Allergie, Pseudoallergie, Unverträglichkeit

Der eigentliche Begriff der Allergie ist eng definiert als spezifische Änderung der Reaktionsfähigkeit des Organismus gegenüber einer bestimmten körperfremden Substanz infolge einer fehlgeleiteten immunologischen Reaktion. D.h. es müssen ein Antigen (körperfremde Substanz), eine symptomlose Expositionssituation (Sensibilisierungsphase) gegenüber diesem Antigen mit nachfolgendem Auftreten von Symptomen bei erneuter Exposition sowie ein immunologischer Mechanismus identifiziert werden können.

Da für bestimmte, phänomenologisch "allergie-gleiche" körperliche Symptome der oben geforderte immunologische Mechanismus nicht gefunden werden konnte, wurde der Begriff der Pseudoallergie geprägt für Reaktionen mit der gleichen pathogenetischen Endstrecke, d.h. der Freisetzung vasoaktiver Substanzen wie Histamin, Kallikrein, Kinine, slow-reacting-substance, aber ohne nachweisbares immunologisches Substrat (Antikörper, Lymphozyten).

Zusätzlich sind vielen Menschen offensichtliche Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten bekannt, für die (noch) keine genaue Definition des Mechanismus gefunden wurde, die aber nicht einfach als "psychisch" abgetan werden sollten.

1.2.1.2 Mögliche Mechanismus der "Hirnallergie"

Wie R. Blank 1995[16] formulierte, gibt es drei verschiedene Möglichkeiten, wie Allergien die Hirnfunktion beeinflussen können:

1.  Durch eine körperlich begründete Primärstörung entsteht eine allgemein verstärkte Anfälligkeit (=Vulnerabilität), die sich sowohl als allergische Reaktion als auch als Verhaltensauffälligkeit zeigen kann. Für diese Hypothese bestehen einzelne Hinweise, z.B. durch eine erhöhtes Vorkommen von allergisch-atopischen Symptomen[17] [18] und hyperaktiven Störungen [19] [20] bei einem tiefen Geburtsgewicht / niedrigem Gestationsalter, bzw. durch eine oft allgemein erhöhte Empfindlichkeit hyperaktiver Kinder auf äussere Einflüsse wie Wetter, Krankheiten, Alltagsveränderungen.

 

2.  Es besteht die allgemeine Veranlagung, allergisch zu reagieren, und im Sinne einer gemeinsamen krankmachenden (=pathogenetischen) Endstrecke wirkt sich die allergische Reaktion im Körper (Haut, Lunge, Nase/Augen) klassisch und im Gehirn halt als Verhaltensstörung aus. Dafür sprechen die oben erwähnten Zusammenhänge zwischen Immun- und Nervensystem bzw. die Theorie des cholinerg-adrenergen Ungleichgewichts des autonomen Nervensystems bei Allergikern.

Durch die allergische Reaktion entsteht eine cholinerge Überreaktivität und eine beta-adrenerge Unterreaktivität im autonomen Nervensystem [21] [22] [23]. Statt in den klassischen allergischen Organen wirkte sich dieses Ungleichgewicht möglicherweise nun im Gehirn aus und verschöbe die Neurotransmitter-Gleichgewichte.

 

3.  Verhaltensstörungen entstehen psychoreaktiv, sozusagen je schlimmer es juckt, desto schlimmer das Verhalten. Dafür spricht die allgemein erhöhte Anfälligkeit für psychiatrische Symptome bei chronischen körperlichen Krankheiten[24], dagegen jedoch die fehlende Übereinstimmung in einer klinischen Studie bezüglich Anzahl allergischer Manifestationsorte und Häufigkeit von hyperaktiven Störungen[25].

1.2.1.3 Studien Verhaltensauffälligkeiten/Allergien

[26]Da die Begriffsdefinitionen "Allergie", "Pseudoallergie", "unbekannte Art der Unverträglichkeitsreaktion" von den Autoren der unten genannten Studien nicht immer konsequent verwendet wurde, musste um der Vergleichbarkeit der verschiedenen Studien willen der "Allergie"-Begriff auf die Gesamtheit möglicher Unverträglichkeitsreaktionen ausgeweitet werden

Die Studien zur Korrelation von Allergien und HKS/ Verhaltensauffälligkeiten fallen sehr widersprüchlich aus, neben durchaus bestätigenden Resultaten treten völlig verwerfende auf; teilweise kann dies sicher durch die inkonsequente Allergiedefinition erklärt werden.

 


Tabelle

Häufigkeit von Allergien und Verhaltensauffälligkeiten

 

Allergiehäufigkeit im Kindesalter in der Normalbevölkerung: 15 - 25%

bestätigende Studien

__________________________________________________________________________________________________

 

 

Publik'-jahr

Art der Studie

Grundkollektiv

%-Anteil mit Allergien

Allergene

__________________________________________________________________________________________________

 

Tryphonas H. und Trites R.[27]

1979

Querschnittstudie;

RAST von N'mittelallergenen

HKS

30 - 50

N'mittel

Egger J. et al.[28]

1985

intervention study (diet)

Hauttest/ IgE

HKS/ "overactivity"

 

42

pos. Hauttest

N'mittel

Kaplan et al.[29]

1987

prospektive Fall-Kontroll

Symptom-reporting

pre-school ADDH

signifikant

gastrointestinal, respiratorisch

dermal

Blank R. und Remschmidt H.[30]

1992

 

prospektive Studie

versch. Fragebogen, IgE, Hauttest

HKS (total)

HKS (rein)

   mit Entw.st.

   mit Soz.verh.

35 (no 18%)

50

36

23

 

N'mittel; IgE auffällig tief

Hauttests pos.

 

__________________________________________________________________________________________________________

 

 

Publik'-jahr

Art der Studie

Grundkollektiv

%-Anteil mit Verhaltensauff.

Art der Verh. auffälligkeit

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Rapp D.J.[31]

1991

Beobachtungen

Überempfind-lichkeiten

ca. 75

Pollen, Staub

Nahrungsmittel

Roth N. et al.[32]

1991

Fall-Kontroll-Studie; 10-Item-Connersskala (APRS), klin. Tests

Atopie (v.a. Ekzem)

APRS >15: 5%

(Kontr. 4.2%)

Anpassung an veränd. Test-bedingungen; Stop/go-Test

__________________________________________________________________________________________________________


nicht bestätigende Studien

______________________________________________________________________________________

 

 

Publik'-jahr

Art der Studie

Grundkollektiv

Zusammen-hang

Besonderheiten

______________________________________________________________________________________

 

Mc Gee R. et al.[33]

1993

Querschnitt-Studie

klin. Allergietests, Verh.fragebögen

nicht-spezifizierter Anteil einer Grund-population

 

nicht signifikant

 

Blank[34]

1994

Querschnittstudie

atopische Kinder

nicht signifikant

Verh’auff von nahrungsmittelempf. Atopiker = Hyperaktivität

 

Mitschell et al.[35]

1987

Fall-Kontroll-Querschnittstudie

hyperaktiv

n. s.

häufige Erkältungen

______________________________________________________________________________________


 

 

1.2.2   Abnorme Empfindlichkeit auf Neurotransmitter-ähnliche Nahrungsmittelbestandteile, z.B. Exorphine

Exorphine sind Peptid-Fragmente, d.h. Abbauprodukte von Nahrungsmittelproteinen, mit einer Opiat-ähnlichen Wirkung. Experimentell zeigt sich dies durch Bindung an die Opiat-Rezeptoren, bzw. durch die Aufhebung ihrer Wirkung (=Antagonisierbarkeit) durch das Opiat-Gegenmittel Naloxon.

Sie stammen als Verdauungsprodukte aus diversen Nahrungsmittel-Proteinen wie Weizen (Gluten), Milch (alpha- und beta-Casein, alpha- und beta-Lactalbumin, k-Casein, Lactoferrin[36]) oder Kaffee[37]. Die bioaktiven Sequenzen sind in einem inaktiven Stadium verborgen innerhalb der Polypeptidkette des grösseren Proteins und werden erst während der Verdauung freigesetzt.

Durch ihre Bindung an Rezeptoren im Darminnern tragen sie (sozusagen als Nahrungs-Hormone) zur Regulation der Verdauungstätigkeit und der Körperhormone bei: Beeinflussung der gastrointestinalen Motilität und Somatostatin-Freisetzung[38] bzw. der Sekretion und auch der Freisetzung anderer Hormone (z.B. Insulin in Ratten[39]), nachdem sie als aktive Peptide die intakte Darmschleimhaut passiert haben[40].

Wenn Exorphine ins Blut gelangen können, ist ein (negativer) Effekt auch auf Opiatrezeptoren im Gehirn denkbar, wie dies von einigen Forschern für gewisse Arten von Schizophrenien (Modell der genetisch determinierten vermehrten Passage der Exorphine durch die Darmschleimhaut ins Blut und des verminderten Abbaus bei allfälligem Enzymdefekt[41]) bzw. bei Autisten mit ihrer vermehrten Peptidurie[42] vermutet wird.

1.2.3   Chronische Störung der Hirnstoffwechsels durch eine Unterversorgung mit bestimmten Vitaminen und Mineralstoffen

Grundsätzlich ist es gut denkbar, dass ein Mangel an bestimmten Vitaminen und Spurenelementen zu der - oben erwähnten - erhöhten Anfälligkeit (=Vulnerabilität) für Verhaltensauffälligkeiten bzw. zu einer mangelnden Kompensationsmöglichkeit des wachsenden Gehirns beitragen könnte. Klinisch gibt es jedoch ausser einer Studie zum Mangel an essentiellen Fettsäuren bei Hyperaktiven[43] nur anekdotische Beispiele dieses Zusammenhangs, indem durch Supplementationen Verhaltensverbesserungen erzielt werden konnten und sozusagen ex iuvantibus auf einen Mangel geschlossen wurde. (Die Nahrungsergänzung mit Mineralstoffen und Megadosen von Vitaminen konnte einen markanten IQ-Anstieg bei geistig behinderten (mental retarded) Kindern bewirken[44]).

Eine Ernährungsumstellung würde dann langfristig durch eine gesündere, vitaminreichere Diät allfällig Defizite ausgleichen, die akuten Reaktionen auf unverträgliche Nahrungsmittel bei einem Verstoss gegen eine Eliminationsdiät sind aber durch die Theorie des chronischen Mangels allein nicht erklärbar.

1.2.4   Akute Schwankungen der Nährstoffversorgung bzw. des chemischen Milieus im Gehirn

1.2.4.1 Blutzuckerschwankungen

Bei einem starken Anstieg des Blutzuckerspiegels produziert bei empfindlichen Menschen die Bauchspeicheldrüse ein Übermass des Blutzucker-reduzierenden Hormons Insulin. Das bewirkt einen starken Abfall des Blutzuckerspiegels unter die Nüchternwerte (in der Fachsprache "Hypoglykämie" genannt), was eine eingeschränkte Hirnleistung, Konzentrationsschwäche, Unwohlsein und Heisshunger (meist auf Süsses) zur Folge hat. Nach erneutem Konsum von Süssigkeiten steigt der Blutzuckerspiegel wieder rapide an, das Spiel beginnt von neuem.

Diese Wellenfahrt des Blutzuckerspiegels bringt einen empfindlichen Hirnstoffwechsel und damit die Hirnfunktion stark durcheinander.

1.2.4.2 Elektrolyt- und pH- Schwankungen,

Durch starkes Schwitzen verliert der Körper neben dem Wasser auch verschiedene Salze über die Haut. Wird danach nur das reine Wasser ersetzt, entsteht ein Ungleichgewicht zwischen dem Salzgehalt der Körperzellen (auch der Hirnzellen) und dem Blut, was im Körper Muskelkrämpfe und im Gehirn Funktionsstörungen bewirken kann.

Bei empfindlichen Kindern hilft es, in einer solchen Situation das Wasser mit ganz wenig Apfelessig anzureichern.

 

Beim Höhenaufenthalt muss der Körper, um trotz der "dünnen" Luft genügend Sauerstoff zu erhalten, seine Atmungsintensität steigern. Damit wird automatisch mehr körpereigenes Kohlendioxid (im Blut teilweise als Kohlensäure gelöst) abgeatmet, was einen Säureverlust verursacht mit entsprechendem Unwohlsein und Verhaltensstörungen. Hier wirkt die Gabe von verdünntem Apfelessig lindernd, wobei der "säuernde" Effekt wegen der Stoffwechselneutralität von pflanzlichen Säuren nur kurzfristig anhält.

1.2.4.3 Überschwemmung mit Stoffwechselzwischenprodukten

Durch eine grosse Menge des gleichen Nahrungsmittels oder durch eine tageszeitlich falsche Mahlzeiteneinnahme, wenn die Verdauungs- und Verteilungsenzyme aufgrund ihrer "inneren Uhr" nicht optimal arbeiten, wird die Verdauungskapazität des Organismus überfordert. Dadurch fallen  Nährstoffe und Stoffwechselzwischenprodukte in einer schlecht verträglichen Menge an und verursachen Hirnfunktionsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten.


 



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