1        Beobachtungen /Studien über Diäten zur Verhaltensverbesserung

Durch eine individuell angepasste Ernährung kann bei vielen verhaltensauffälligen Kindern eine positive Verhaltensverbesserung erreicht werden, die fast ebenso stark ist, wie eine Ritalin®-Therapie, aber ohne deren Nebenwirkungen, dafür mit einer Verbesserung auch der körperlichen Gesundheit.

Hinter diesen Erfahrungen wurden in den letzten Jahrzehnten immer wieder Theorien gebaut, die aber – ausser der "Allergie"-Theorie (oligoantigene Diät)- nicht bestätigt werden konnten.

Da die negativen Berichte über die anderen Theorien noch immer in der Fachwelt herumgeistern und den Blick auf die positiven Wirkungen der effektiv durchgeführten Diät versperren, sollen sie kurz erwähnt werden.

 

1.1      Definitionen der bekanntesten Diätformen

1.1.1   Feingolddiät

Hypothese: Eine Überempfindlichkeit gegen Lebensmittel-Farb- und Konservierungsstoffen und Salicylate in Nahrungsmitteln soll das negative Verhalten auslösen[1] [2]. Dieser Mechanismus sei vergleichbar mit der klassischen Pseudoallergie auf Azetylsalizylsäure (Aspirin®), indem durch die induzierte Störung des Arachidonsäuremetabolismus (Hemmung der Cyclooxigenase) die Arachidonsäure vermehrt zu Leukotrien und Thromboxan (Entzündungssubstanzen, Bronchokonstriktoren) umgebaut werde.[3]

Dieser Mechanismus wurde schon theoretisch widerlegt, da Salicylate keine Cyclooxygenasehemmer sind.

Diätdurchführung: Lebensmittelzusatzstoffe und natürlicherweise stark Salicylat-haltige Nahrungsmittel (Zitrusfrüchte, Steinobst, Beeren, Trauben, Äpfel, Gurken, grüne Peperoni, Tomaten, Kaffee, Schwarztee) werden weggelassen.

Studien: Obwohl eine spezifische Wirkung der Diät im Doppelblinddiätversuch bei Hyperaktiven nicht nachweisbar war, wurde meist während den Diätphasen eine Verbesserung des Verhaltens von Verhaltensauffälligen[4], sowie unter Diät eine überraschende Verhaltensverbesserung von normalen Kindern im Vorschulalter festgestellt[5], möglicherweise bedingt dadurch, dass unter Zusatzstoff-freier Ernährung praktisch alle Fertigprodukte und Süssigkeiten (die von vielen Kindern schlecht vertragen werden) wegfallen.

 

1.1.2   Phosphatdiät nach Herta Hafer

Phosphatintoxikations-Hypothese[6]: Bei einer (angeborenen) Stoffwechsel-Extremvariante führe eine Starterdosis Phosphat (natürlicherweise phosphatreiche Nahrungsmittel und Phosphatzusätze) zur kurzdauernden Azidose und anschliessend durch überkompensierende Entsäuerung zur metabolischen Alkalose, zum Vagotonus und zur Blockade des Noradrenalins im vegetativen Nervensystem und im Grosshirn.

Diese Hypothese überzeugt nur schon deshalb nicht, weil Phosphor ein essentieller Bestandteil unserer Ernährung ist, die Phosphor-Zufuhr grossen täglichen Schwankungen unterliegt und die 'phosphat-reduzierte Kost' die Phosphorzufuhr nur wenig zu senken vermag[7].

Diätdurchführung: Diese Diät entspricht jener Feingolds plus dem Weglassen von natürlicherweise phosphatreichen Nahrungsmitteln (z.B. Milch, Soja, Hafer, Kakao, Mais, Eier, Käse) sowie der Phosphatzusätze- (Backpulver, Kuttersalz, Schmelzsalz, Lecithin) enthaltenden Wurst- und Fleischwaren und Getränke[8].

Studien: In den wissenschaftlichen Studien bemerkten die Beobachter (meist die Eltern) eine Verhaltensverbesserung während der Diätphase , aber unter der Provokation konnte keine eindeutige Zuordnung zum Phosphat als Auslöser von Verhaltensauffälligkeiten gemacht werden (kontrollierte Studie mit Diät, offener Provokation und Doppelblindbelastung[9]).

 

1.1.3   Oligoantigene Diät

Nach der Allergiehypothese kann generell jeder Stoff Verhaltensauffälligkeiten auslösen wegen einer individuellen Unverträglichkeit auf bestimmte Nahrungsmittel[10].

Diätdurchführung: Um die individuell unverträglichen Nahrungsmittel herauszufinden, wird zuerst eine drei- bis vierwöchige Basisdiät (oligoantigene Diät mit erfahrungsgemäss selten allergen wirkenden Nahrungsmitteln) durchgeführt. Bei Feststellen einer eindeutigen Verhaltensverbesserung unter dieser strengen Basisdiät, erfolgt eine vorsichtige Wiedereinführung der entzogenen Stoffe (1 neues Nahrungsmittel pro Woche, mind. 1 Port. täglich). Nahrungsmittel, die reproduzierbar hyperkinetisches Verhalten auslösen (im Zweifelsfall doppelblind geprüft), werden vermieden, sonst wieder in die Diät integriert.

Studien: Die positive Wirkung der individuell angepassten Eliminations-Diät wurde einerseits in der Erstpublikation von Prof. J. Egger, 1985, und in anderen wissenschaftlichen Studien[11] bestätigt. Somit lässt sich unter Vermeidung provozierender Substanzen bei etwa 24 - 80% der hyperkinetischen Kinder das Verhalten - zumindest auf der subjektiven Ebene - günstig beeinflussen. Im Vergleich mit Methyphenidat (Ritalin®) ist letzteres zwar effizienter, dafür hat die Diät weniger Nebenwirkungen[12].

 

1.2      Gegenüberstellung der Wirksamkeit von Phosphat-, Feingold- und oligoantigener Diät

Konsequent wurden die Hypothesen der Feingold- und der Phosphatdiät in verschiedenen doppelblinden Provokations-Studien widerlegt, die oligoantigene Diät hingegen bzw. Varianten davon statistisch signifikant bewiesen.

Interessanterweise berichteten die Eltern / Betreuer jedoch auch während den Diätphasen der Feingold- und Phosphatdiät über positive Verhaltenseffekte. Dieses Paradox kommt möglicherweise durch die Ähnlichkeit der effektiv verabreichten Diät mit der oligoantigenen Diät (unabhängig vom theoretischen Hintergrund) zustande (vgl. Tabelle):

Bei der oligoantigenen Diät wurden bei über 20% der getesteten Kinder (in steil absteigender Reihenfolge) Farb- und Konservierungsstoffe, Kuhmilch, Schokolade, Trauben, Weizen, Zitrusfrüchte, Käse, Ei, Erdnüsse, Mais Fisch, Hafer, Melonen, Tomaten und Schinken als Auslöser für Verhaltensauffälligkeiten gefunden. In den anderen beiden Diäten werden Zitrusfrüchte, Trauben, Tomaten und Farb-/ Konservierungsstoffe verboten,. Milch, Schokolade und Weizen werden eingeschränkt; Eier, Hafer und Mais sollten auch in der phosphatreduzierten Diät weggelassen werden.

 

Tabelle : Gegenüberstellung der einzelnen Diäten

_______________________________________________________

 

 

Feingold

Phosphat

Oligoantigene Diät. Auslöser bei > 20%

_______________________________________________________

 

Zitrusfrüchte

x

x

X

Beeren/ Steinfrüchte/

Apfel

Melonen

x

x

-

-

x

Trauben, Tomaten

x

x

X

Kaffee/ Schwarztee

x

x

-

Milch

Käse

 

x

X

x

Eier

 

x

X

Hafer

Mais

Weizen

 

x

X

x

x

Kakao

Schokolade

 

x

-

x

Soja

 

x

-

Farb-/Aromastoffe

x

x

X

x

Phosphat

 

x

 

Wirksamkeit in Studien

1-2%

-

mit p<0.001 bestätigt

_________________________________________________________________________

 

 

1.3      Hinweise der Zusammenhänge zwischen Ernährung und Verhalten aus der klinischen Ökologie

Verschiedene klinische Ökologen wie T.G. Randolph, R. Mackarness oder D. Rapp beobachteten, dass nicht nur die klassischen Allergien, sondern auch viele chronische körperliche, aber auch psychische Krankheiten (depressive Verstimmungen, Aggressivität oder Teilleistungsstörungen) auf einer chronischen Belastung durch unverträgliche Nahrungsmittel / Umweltchemikalien beruhen. Nach deren Elimination (z.B. während einer fünftägigen Fastenpause bei Erwachsenen[13]) bessern oder verschwinden die Beschwerden, nach Wiedereinführung tauchen sie wieder auf[14] [15].

 

1.4      Grundsätzliche Argumente gegen Auslassdiäten

Da sich der ganze Tagesablauf nur ums richtige Essen dreht, isolieren sich betroffene Kinder bzw. ihre Familien. Zudem verursachen allfällige Diätfehler Schuldgefühle, was u.U. zu psychischer Unterdrückung des Kindes führen kann. Dagegen ist allerdings zu sagen, dass nicht behandelte, schwer auffällige Kinder durch ihr Verhalten sozial isoliert sind und oft strenge "Erziehungsmassnahmen" angewendet werden müssen, um "Ordnung zu halten".

Ohne fachliche Überwachung der Diätdurchführung besteht die Gefahr der Mangelernährung und das Unterbleiben von möglicherweise wichtigen anderen Therapien (Familientherapien, nötige Medikation), da die Eltern nur auf die Diät abstellen. Wie bei einer Ritalin®-Medikation kann die Verhaltensauffälligkeit durch eine Diätanwendung nicht geheilt werden, sondern die Symptome werden während der Behandlungszeit reduziert und eine schulische und persönliche Entwicklung ermöglicht. Die generelle Empfindlichkeit ist und bleibt aber meist das ganze Leben.

 



[1]Feingold B.F. (1975) Hyperkinesis and learning disabilities linked to artificial food flavours and colors. Am. J. Nurs.; 75: 797-803

[2]Feingold,1975, Food additives and food allergies, S. 162; in C.K. Conners; Feeding the Brain, New York, 1989, Plenum Press

[3]Niels Mygind (übersetzt von Margret Schnitzler);Grundriss der Allergologie, Steinkopff Verlag Darmstadt; 1989:46-9

[4]F. Manz; Phosphat-Probleme im Kindesalter; akt. Ernähr.11 1986: 80-84

- Conners C.K., Goyette C.H., Southwick D.A., Lees J.M., Andrulonis P.A. (1976) Food additives and hyperkinesis: a controlled double blind experiment. Pediatrics; 58: 154-66

- Williams J.E. et al: Relative effects of drugs and diet on hyperactive behaviors. (1978) Pediatrics; 61: 811-17

Weiss B. et al. (1980) Behavioral responses to artificial food colors. Science; 61: 1487-88

- Mattes J.A., Gittelman R. (1981) Effects of artificial food colorings in children with hyperactive symptoms. A critical review an results of a controlled study. Arch. Gen. Psychiatry 38 (6): 714-8

- E.H. Wender. The food additive-free diet in the treatment of behavior disorders : a review. J. De. Behav. Pediatr. 1986 7 (1): 35-42

[5]HarleyJ.P. et al. (1978) Synthetic food colors and hyperactivity in children: a double-blind challenge experiment. Pediatrics; 62: 975-83

[6] Hafer H. (Hrsg.) (1978) Nahrungsphosphat - die heimliche Droge. Kriminalistikverlag Heidelberg, 1. Auflage

[7]F. Manz; Phosphat-Probleme im Kindesalter; akt. Ernähr.11 1986: 80-84

[8]Egger et al.; Kindliche Verhaltensstörung durch Nahrung verursacht?; Lancet, 1985

[9] Scholz H.J., Aebert (1987) Erfahrungen mit der Durchführung einer sogenannt phosphatreduzirten Kost in einem Fachkrankenhaus für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Westfälisches Landeskrankenhaus i. d. Haard, Marl-Sinsen (D)

B. Roy-Feiler, Th. Starzinski; Die Behandlung des HKS der Kindheit; Psychiatrische Klinik Mainz; Manuskript 1978

B. Walther; Nahrungsphosphat und Verhaltesstörung im Kindesalter, Ergebnisse einer kontrollierten Diätstudie (Mainz); Das konzentrationsgestörte und hyperaktive Kind, Ergebnis aus Klinik und Forschung; H.-G. Eisert et al (Hrsg.); Verlag W. Kohlhammer

[10] Egger J., Carter C.M., Graham P.J., Gumley D., Soothill J.F. (1985) Controlled trial of oligoantigenic treatment in the hyperactive syndrome; Lancet; 1: 540-545

[11] Kaplan B.J., McNicol J., Conte R.A., Moghadam H.K. (1989) Dietary replacement in preschool-aged hyperactive boys. Pediatrics; 83 (1): 7-17

[11] Carter C.M., Urbanowicz M., Hemsley R., Mantilla L., Strobel S., Graham P.J., Taylor E. (1993) Effects of a few food diet in attention deficit disorder. Arch. Dis. Child. 69 (5): 564-8

[11] Schulte-Korne G., Deimel W., Gutenbrunner C., Hennighausen K., Blank R., Rieger C., Remschmidt H. (1996) Der Einfluss einer oligoantigenen Diät auf das Verhalten von hyperkinetischen Kindern. Z. Kinder Jugenpsychiatr. Psychother. 24 (3): 1976-83

H. Hochreutener, K. Bärlocher, ....;Pilotstudie: Einflüsse einer Diät; in K.Bärlocher (Hrsg); Ernährung und Verhalten; Georg Thieme Verlag Stuttgart; 1991

[11] M. Boris, F.S. Mandel, Foods and additives ar common auses of the attention deficit hyperactive disorder in children. Ann. Allergy 1994; 72 (5): 462-8

[12]Schmidt M.H., Mocks P, Lay. B., Eisert H.G., Fojkar R., Fritz-Sigmund D, Marcus A., Musaeus B: Does oligoantigenic diet influence hyperactive/conduct-disordered children - a controlled trial. Eur Child Adolesc. Psychiatry 1997, 6 (2): 88-95

[13] Mackarness R. (Hrsg.) (1980) Allergie gegen Nahrungsmittel und Chemikalien. Hippokratesverlag, Stuttgart 3. Auflage (1986)

[14] Rapp D.J. (Hrsg.) (1996) Ist das Ihr Kind? Versteckte Allergien bei Kindern und Erwachsenen aufdecken und behandeln. Promedico Verlag für Wissenschaft und Medizin, Hamburg. 4 Auflage 2000

[15] Randoph T.G., Moss R.W. (1986) Allergien: Folgen von Umweltbelastung und Ernährung: Chron. Erkrankungen aus der Sicht der Klinischen Ökologie. A. Calatin (Hrsg.) C.F. Müller Verlag, Karlsruhe 3.Auflage (1988)